Zeitreise durch den deutsch-türkischen Alltag

Frankfurter Rundschau – 11.08.2008

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Zeitreise durch den deutsch-türkischen Alltag

Mörfelden-Walldorf Sommer der Kulturen / Ausstellung im Rathaus mit Fotos von Mehmet Ünal

VON SIGRID ALDEHOFF

Das türkische Ehepaar sitzt im Wohnzimmer auf dem Sofa. Sie hat das Kopftuch umgebunden und hat ein kleines Kind auf dem Schoß, er hält eine Baglana, etwa vergleichbar einer Laute, im Arm. Über beiden hängt ein Wahlplakat des SPD-Kanzlerkandidaten Hans Joachim Vogel mit dem Slogan „Im deutschen Interesse“.

Das Familienfoto von 1983 ist Teil der Ausstellung „Migration“, die am Freitag im Rathaus von Walldorf eröffnet wurde. Die fotografische Zeitreise wird im Rahmen der Reihe „Sommer der Kulturen“ mit dem Themenschwerpunkt Türkei noch bis Freitag, 29. August, gezeigt. Aufgenommen hat die Portraitbilder seiner Landsleute der international ausgezeichnete Fotograf Mehmet Ünal. Er kam Ende 1976 nach Deutschland – aus Liebe zu seiner deutschen Frau. Seinen Beruf musste der ausgebildete Schauspieler aufgeben. „Ich habe es abgelehnt, nur noch die Türkenrolle zu spielen“, erzählt er. So habe er „gezwungenermaßen“ als Journalist gearbeitet.

Regenschirm und Alditüte

Er berichtete über den Alltag der Türken in Deutschland, machte seine Portraits mal geplant, mal im Vorbeigehen. Die Frau mit Kopftuch in der Telefonzelle unter dem Werbeschild „Ruf doch mal an“, der ältere Türke, der sich schick zurechtgemacht hat und in der Hand Regenschirm und Alditüte trägt, der Arbeiter, der aus dem tristen Wohnheimfenster hinaus auf seine Arbeitsstelle schaut – sie alle sind auf den Fotos im Rathaus zu sehen.

Mehmet Ünal lebt heute in Mannheim, bezeichnet sich aber nach 24 Jahren in Mainz als „Meenzer Bub“. Auch in Mörfelden-Walldorf hat er gearbeitet. „Mitte der 80er Jahre hatte sich Mörfelden-Walldorf als atomwaffenfreie Zone ausgerufen“, erinnert er sich. Er sollte herausbekommen, was die Türken in der Stadt darüber wissen und denken. Ihre Reaktion sei „Was geht mich das an?“ gewesen, schmunzelt er.

Rund 1600 Türken leben heute in der Stadt, sagte Bürgermeister Heinz-Peter Becker während der Ausstellungseröffnung im Beisein des stellvertretenden türkischen Generalkonsuls Güclü Kalafat. Damit stellen sie die zweitstärkste unter den 100 Nationen, die in der Stadt leben.

Mitverantwortlich für die Organisation der Beiträge zum Thema Türkei ist der in Mörfelden lebende Journalist Ömer Actas. Er begrüßte es, dass die Stadt mit diesen Veranstaltungen ein Zeichen setze, „dass alle Kulturen hier willkommen sind“. „Wir sind vor 40 Jahren gekommen und hier heimisch geworden.“