Manfred Miller

Manfred Miller über die Photoausstellung: "Schwarz auf Weiß!"

DER FOTOGRAF lebt seit 1976 in der Bundesrepublik und arbeitet als Sozialberater bei der Arbeiterwohlfahrt in Mainz. Er kommt aus einer türkischen Arbeiterfamilie und hat als Schüler lange sparen müssen, bevor er vom zurückgelegten Taschengeld seine erste Kamera kaufen konnte. Nicht immer hat sein Geld für Fotomaterial gereicht. Also nicht Schnapp und Schuss, womöglich noch vollmotorisiert. 

DER FOTOGRAF hat gelernt, dass nur Inszenierung Lebensspuren festzuhalten vermag, schwarz auf weiß. DER FOTOGRAF spannt eine weiße Leinwand. Vor die Leinwand stellen sich Menschen. Besucher, Helfer, Referenten, Musiker – beteiligt alle am Festival ,,Afrika-Schwarz auf Weiß“. Wie beim Open Ohr Festival sich die Menschen vor der Leinwand darstellen, hält DER FOTOGRAF fest, schwarz auf weiß. 

Der Menschen Würde, Heiterkeit, Kraft, Hoffnung, Skepsis, Freundschaft, Zorn, Zärtlichkeit – Schwarz und Weiß, schwarz auf Weiß festgehalten von MEHMET ÜNAL.

Der schwarze Dudu und der weiße Chris umarmen sich, und zwei fast nackte Männer stehen Arm in Arm vor der Kamera… „Jeder Mensch hat das Recht auf Versammlungsfreiheit und Freiheit der Vereinigung.“ Was die UN-Charta in der „Erklärung der Menschanrechte“ proklamiert – hierzulande scheinbar eine Selbstverständlichkeit, die lächelnd in Anspruch genommen wird. Sich frei versammeln, einfach nur, um gemeinsam Musik zu machen?

Für DUDU PUKWANA, den Altsaxophonisten und CHRIS McGREGOR, den Pianisten, ein Problem. Ihre „Blue Notes“ gelten Anfang der sechziger Jahre als beste moderne Jazzgruppe in Südafrika, doch wenn sie sich abends zum Üben treffen wollen, müssen sie Gesetze verletzen. Den DUDU und die anderen sind schwarz, weiß ist CHRIS. Seit 1964 leben die „Blue Notes“ im Exil. Die, die noch leben. Im Exil, am Exil starben 1975 der Trompeter Mongezi Feza und 1986 der Bassist Johnny Dyani, wenige Monate nach dem Konzert bei „Afrika-schwarz auf weiß“. 

„Afrika – schwarz auf weiß“ war das 12. Open Ohr Festival. 12. Jahre – eine lange Lebenszeit für ein immer wieder heftig umstrittenes Projekt. Das aber auch nur so lange sein Lebensrecht hat, wie es Kontroversen auszulösen vermag. „Ein Open Ohr Festival, das sind für mich vorgeplante politische Konflikte, künstlerisch – ästhetische Störmanöver und natürlich eindrucksvolle,  einmalige Erlebnisse für den einzelnen Besucher durch das Gehörte, Gesehene, Erlebte – der zu einem Fest erhobene politisch-künstlerische Erkenntnisprozeß“ (Reinhard Hippen, 1974 Gründungsmitglied der Open – Ohr – Projektgruppe). Die politischen Konflikte auf dem und um das Open Ohr Festival sind schon durch seine Themen vorgeplant. Nichts für Ab- und Auswiegler. Und die Störmanöver im künstlerisch-ästhetischen Bereich ergeben sich schon dadurch, daß Open Ohr eben die fordert: offene Ohren für Cabaret und Kabarett, für Theater und Happening, für Musik von Folklore bis Klassik, von Blues bis Free Jazz, von Pop bis Avantgarde. Das Open Ohr Festival ist eine Zumutung. 

Kein Tag für Afrika. Vier Tage lang, vom 16. bis 19.Mai 1986, bot das 12. Open Ohr Festival auf der Mainzer Zitadelle die Möglichkeit, sich mit einem Themenhoplex auseinanderzusetzen, der auf den ersten Blick entlegen scheint. Geografisch sowieso. Und sonst ? Schon mehr als einem halben Jahrhundert ging die ebenso kurze wie blutige- Geschichte deutscher Kolonialherrschaft in Afrika zu Ende. Was also hätten Jugendliche und junge Erwachsene in der Bundesrepublik heute mit Afrika zu tun ? Nichts.  
Außer, dass die Bundesrepublik zu den Ländern gehört, die von den feineren Formen des 0Welt-wirtschaft“ genanten neuen Kolonialismus besonders profitieren, und zu denen, die besonders enge Beziehungen zur rassistischen südafrika­nischen Republik pflegen; außer, dass Rasismus hierorts zwar nicht Staatsdoktrin, aber doch schon wieder offen ausgelebte Wirklichkeit ist; außer, dass die Musik, die seit Beginn dieses Jahrhunderts unsere Alltagskultur bestimmt, ohne den -ganz und gar unfreiwilligen – Beitrag Schwarzafrikas nicht entstanden wäre; außer, daß diese Welt e i n e sein wird- oder keine. Hunde aller Arten. Ballspieler mit und ohne Schläger. Allenthalben lustvolle  Selbstinszenierung. Das Open Ohr Festival ist immer auch dies: ein Fest. Was hat das Fest mit den politischen Anspruch des Festivals zu tun, mit -etwa – „Afrika-schwarz auf weiß“? Gewiss ist es gerade kein Anlass zum Feiern, dass die Bundesrepublik zu den treuesten Kreditgebern, den größten Waffenlieferanten, den besten Handelspartnern der rassistischen Republik Südafrika zählt -UN-Resolutionen hin, EG-Beschlüsse her. Und dennoch: Das Fest und das politische Festival bedingen einander sind eins. Das politische Festival braucht einen, braucht seinen Freiraum. Nur so kann -etwa- das Thema ,,Afrika-schwarz auf weiß“ vier Tage lang in den verschiedensten Ausdrucksformen bearbeitet, nur so können Informationen aufgenommen und diskutiert, können mit offenem Ohr Meinungen ausgetauscht werden. Dass Tausende sich gemeinsam vier Tage lang auf ein politisches Thema einlassen, ernsthaft und lustvoll; dass sie sich vier Tage auf einander einlassen, streitlustig und tolerant: Das macht das Fest. Auch das zeigen, schwarz auf weiß, die Fotos von MEHMET ÜNAL. „Es ist wichtig, dass man sich als Mensch wichtig nimmt, ohne sich ständig mit anderen zu vergleichen. Dass man froh ist, auf der Welt zu sein. Sich als autonomes Wesen erfährt, das für seine Zukunft selbst verantwortlich ist.“ Richtig. Selbst dort, wo dem Recht auf den eigenen Lebensentwurf gesellschaftlich nicht gerade begeistert nachgeholfen wird, würde keiner widersprechen. Oder widerspricht da jemand ? Ja – und mehr als das, weit mehr. Es ist nicht einmal sicher, ob der Sprecher seine richtigen Sätze lange überlebt hat. Nämlich einer der ungezählten und (für uns) namenlosen Schüler des ersten Kinderaufstands von Soweto war es, der sagte: „Jeder erlebt täglich dieses System, in dem er einfach wegen seiner Hautfarbe benachteiligt, ausgestoßen und mit Rassengesetzen belegt wird. Es ist aber doch wichtig, dass man sich als Mensch wichtig nimmt, ohne sich ständig mit anderen zu vergleichen. Dass man froh ist, auf der Welt zu sein. Wir kämpfen jetzt darum, daß die Schwarzen sich zusammenschließen – nicht, damit sie Feinde der Weißen werden, sondern damit sie sich als autonome Wesen erfahren, die für ihre Zukunft selbst verantwortlich sind.“ 

„Der Schwarze weiß, wo sein Platz ist, und wenn nicht, werde ich ihm den Platz schon zeigen.“ Als er das sagte, war Jimmy Krüger Polizeiminister in Südafrika und Steve Biko nicht in einem seiner Gefängnisse umgekommen. Der hatte die Sache so gesehen: „In Südafrika war die politische Macht immer auf Seiten der Weißen. Dabei sind die Weißen nicht nur schuldig geworden, indem sie diese Macht benutzten, vielmehr haben sie es durch geschickte Tricks auch noch erreicht, die Reaktionen der Schwarzen auf diese Herausforderung unter ihre Kontrolle zu bringen. Sie haben dem Schwarzen nicht nur ständig Fußtritte versetzt, sondern sie haben ihm überdies auch noch vorgeschrieben, wie er darauf zu reagieren habe. Qualvoll langsam beginnt er jetzt zu zeigen, dass es nicht nur sein Recht ist, sondern eben auch sein Pflicht, auf die Fußtritte zu reagieren in der Weise, die ihm selbst richtig erscheint. “ Steve Biko war -bevor er tot war- der theoretische Kopf der ,,Black Consciousness“ -Bewegung. Consciousness heißt Bewusstsein, Selbstbewusstsein, und das heißt: selbst bewusst sein. 

Das Open Ohr Festival ist eine Zumutung. Außer Mainz traut sich hierzulande eine Stadt so etwas zu: Das Jugendamt der Stadt Mainz veranstaltet, finanziert und organisiert ein Festival. (Das ist (mittlerweile) normal. Doch jetzt kommt  das ganz große Aber:) Aber dessen inhaltliche Bestimmung, Planung und Durchführung liegt bei einer „Projektgruppe“, die „unabhängig“ nicht nur heißt und tut, sondern es tatsächlich ist: Einberufen für’s erste Festival, hat sie sich stets aus sich heraus erneuert, ohne jeglichen städtischen oder Parteien-Einfluß. Den hat auch der „Beirat“ nicht, die Vertreter der Stadtratsfraktionen können der Projektgruppe nur Empfehlungen zu Thema und Gestaltung geben. Eine Zumutung für jedes Verwaltungshirn, diese Konstruktion. Eine Zumutung auch für alle anderen Beteiligten -Konflikte sind vorprogrammiert. Genau die aber -und das ist der Witz dieser Konstruktion- halten das Festival lebendig: Die unabhängige Projektgruppe erkämpft immer wieder, sozusagen stellvertretend, den Freiraum, von dem das Open Ohr Festival lebt. Freilich geht das nur so lange, wie das Jugendamt, wie die Stadt Mainz ihr das Recht dazu einräumt. Wie gesagt: eine Zumutung. Und das ist gut so. Erst das erste konfliktfreie Open Ohr Festival m u s s das letzte gewesen sein. Wir sehen nicht, was wir sehen. Wir sehen das Licht, das uns beim Sehen aufgeht. Wir sehen einen Mann, der ein Kind trägt und dabei stolz und glücklich schaut. Wir sehen: einen frohen Vater. Aber könnte der Mann nicht auch die praktische Babytragetasche „Kinner’s Ruh“ vorführen, die er erfunden hat ? Um zu verstehen, was wir da sehen, brauchten wir mehr Informationen. Wir hören nicht, was wir hören. Wir müssen uns erst einen Vers drauf machen. Wir hören: Der African National Congress (ANC) sei eine terroristische Organisation.  Wir sehen: In Paris wird eine Frau von Profi-Killern ermordet. Wir erfahren: Die ermordete war eine Sprecherin des ANC. Wie soll sich das zusammenreimen? Etwa, indem wir in der „Freiheits-Charta“ des ANC  nachlesen: „Südafrika gehört allen, die darin leben, Schwarzen und Weißen…  Nur eine demokratischer Staat kann allen ihr Geburtsrecht ohne  Unterscheidung der Farbe, Rasse, des Geschlechts oder Glaubens sichern…“ Machen wir uns einen Vers drauf: Von der Vorstellung, Südafrika könne ein Land geschwisterlich-demokratischen Zusammenlebens werden, müssen sich Manche echt terrorisiert fühlen. 

Manfred Miller, Südwestfunk Landesstudio Rheinland-Pfalz